Wo geht die Reise hin? Einschätzung vom 8. April

[mit Dr. Constantin Weiser] Es wird kaum einen Menschen geben, der sich nicht fragt, wie es weiter geht mit CoV-2-Erkrankungen in Deutschland. Steigt alles weiter exponentiell an oder flacht sich die Entwicklung so langsam etwas systematisch ab?

Diese Frage kann auf einfache aber auch relativ robuste Weise über das Schätzen von Gompertzkurven beantwortet werden. (Unser herzlicher Dank geht an Prof. Schulze für die Anregung.) Gompertzkurven haben per Definition die folgende Struktur: y(t) = a*exp[-b*exp[-c*t]], wobei a, b und c positive Konstanten sind und exp[] für die Exponentialfunktion steht. Die Entwicklung einer Variablen y(t) in Abhängigkeit von der Zeit t wird also durch eine doppelte Exponentialstruktur beschrieben. Wenn man sich die Gleichung ansieht, sieht man auch sofort, dass ein Anstieg von t dazu führt, dass exp[-c*t] gegen Null geht und damit y(t) gegen den Wert a konvergiert. Deswegen heißt a auch die obere Schranke oder der asymptotische Wert von y(t). Der Parameter b ist ein Skalierungsparameter und c ist der Wachstumsparameter oder, im Zusammenhang mit COVID19, die Infektionsrate.

Nun kann man diese Gleichung verwenden, einen Fehlerterm addieren und mit der Methode der kleinsten Quadrate (da war doch was im Bachelor?) schätzen. Als zu erklärende Variable y(t) nehmen wir die Fallzahlen vom Robert Koch Institut (RKI), also die Anzahl der gemeldet Erkrankten am Tag t. Damit ergibt sich dann folgende Abbildung.

Mit den dunklen Punkten sehen wir die Beobachtungen des RKI. Mit der roten gestrichelten Linie sehen wir den geschätzen Zusammenhang und mit dem grünen Bereich sehen wir das 95% Konfidenzintervall für die Vorhersage. Wie sehen also mit dem letzten Punkt am 7. April den Wert von gestern und mit der gestrichelten Linie im grünen Bereich die erwarteten Werte für die Zukunft.

Inhaltlich sehen wir nun zwei Dinge: Zum einen sehen wir, dass wir uns gerade an einem Wendepunkt befinden. Die Kurve krümmt sich nicht mehr nach oben, sondern eher nach unten. Das heißt ganz konkret, dass ab sofort, wenn die Vorhersage denn stimmt, die Anzahl der Neuerkrankten pro Tag zurückgehen müsste.

Wir sehen auch, wohin die Reise geht. Wir nähern uns einer oberen Grenze an (das a von oben), das bei ca 184.000 Erkrankten liegt. Diese Grenze ist im Mai oder Juni erreicht. Danach gibt es nach dieser Vorhersage keine weiteren Erkrankungen mehr.

Und nun kommt natürlich das Aber - wieso sollten wir das glauben? Die grundsätzliche Annahme hinter diesem Modell (und eigentlich fast hinter allen Modellen, die zur Projektion verwendet werden) ist eine Stabilität des zugrundliegenden datengenerierenden Prozesses - wenn man es technisch ausdrücken möchte. Ganz praktisch gesprochen: Nur wenn die aktuellen Kontaktrestriktionen aufrecht erhalten werden und wenn sich alle Bewohner Deutschlands weiterhin daran halten (und nicht große Osterausflüge in großen Gruppen unternehmen), dann wird dieser Verlauf so eintreten.

Ok, so viele Wenns, wozu ist das Ganze überhaupt gut? Man kann wohl davon ausgehen, dass in den nächsten knapp zwei Wochen nicht viel passiert. DIe aktuellen Regeln für soziale und berufliche Kontakte werden so bleiben wie sie sind. Am Dienstag gibt es ein Treffen aller Ministerpräsidenten plus Bundeskanzlerin, um das weitere Vorgehen nach den Osterferien zu besprechen. Also sollte man davon ausgehen, dass wir durch diese Analyse bis nach den Osterferien, also bis zum 19. oder 20. April relativ gut wissen, wie hoch die Anzahl der Erkrankten sein wird -- vorausgesetzt das grundlegende Verhalten aller ändert sich nicht systematisch, wie schon geschrieben.

Also, wir wissen, wohin die Reise hingeht für die nächsten 10 Tage. Wenn dann für die Zeit ab 20. April neue Regeln gelten (evtl. partielle Lockerung in unterschiedlichen Bereichen), dann sollte wir aufgrund der üblichen Verzögerung ab dem 27. April eine neue Dynamik der Zahl der Erkrankten haben. Dann brauchen wir ein neues Modell, um die weitere Entwicklung zu verstehen. Bis dahin scheint erstmal alles planbar.