Einschätzung vom Sonntag, 15. März

Warum die von Bund und Ländern am Freitag beschlossenen Maßnahmen hilfreich sind, aber erst in ein bis knapp zwei Wochen wirken werden

[Prof. Dr. Bodo Plachter und Prof. Dr. Klaus Wälde] Gestern gab es hier in diesem Blog keine Einschätzung, die Zahlen steigen unverändert an. Heute geht es um die von Bund und Ländern am Freitag beschlossenen Maßnahmen. Diese Maßnahmen, wie Schulschließung und Absage fast aller Sportveranstaltungen, wirken vermutlich erst in ein bis knapp zwei Wochen. Dies folgt aus einfachen grundsätzlichen Überlegungen.

Wir beobachten über das RKI die Anzahl der gemeldeten Erkrankungen. Diese sind in den vorherigen Einschätzungen (siehe unten) mit tatsächlichen Werten dargestellt, in der folgenden Grafik schematisch als die schwarze Linie Et, wobei Et für die gemeldeten Erkrankungen am Tag t stehen. Diese gemeldeten Erkrankungen hängen jedoch von den Infektionen It ab. Ohne Infektion keine Erkrankung. Nun liegt zwischen Infektion und Erkrankung der Zeitraum, den ein Mensch benötigt, bis er oder sie Symptome wahrnimmt (Inkubationszeit). Dieser liegt bei etwa 5 Tagen (Linton et al., J. Clin. Med. 2020, 9, 538; doi:10.3390/jcm9020538, Lauer et al., Ann Intern Med. 2020 Mar 10. doi: 10.7326/M20-0504). Dann muss der Erkrankte zum Arzt, der wiederum die Erkrankung ans RKI melden muss. Schätzt man dafür weitere 2-3 Tage (wobei dafür für Deutschland keine belastbaren Zahlen vorliegen), ergibt sich ein Zeitraum zwischen der Infektion und der Meldung als Erkrankter von 7-8 Tagen. Dieser Zeitraum ist in der Abbildung durch „Zeitliche Differenz zwischen Infektion It und Erkrankung Et …“ dargestellt.

Diese Verzögerung wird nun auch eine Rolle spielen bei dem Effekt der am Freitag beschlossenen Maßnahmen. Nehmen wir an, dass durch die Maßnahmen die Anzahl der Infizierten viel weniger steigt, so wie durch die gestrichelte fast horizontale rote Linie ab dem 14. März in der Abbildung dargestellt. Dann wird die Anzahl der gemeldeten Erkrankten trotzdem noch etwa 7-8 Tage steigen: Der Anstieg der Erkrankten am 14. März ist eine Folge der Infektionen von 7-8 Tagen vorher (roter horizontaler Pfeil). Also werden die Infizierten von vor 7, 6, 5 usw. Tagen auch noch erkranken. Somit sollten die Zahlen Et des RKI weiter ansteigen, so wie durch die gestrichelte schwarze Linie ab dem 14. März sichtbar. Circa 7-8 Tage nach dem 14. März sollte jedoch, wenn die Maßnahmen erfolgreich waren, mit einem sichtbaren Rückgang des Anstiegs der Anzahl der Erkrankten zu rechnen sein.

Es sei darauf hingewiesen, dass die durchschnittliche Inkubationszeit erheblichen Schwankungen unterliegt und für 95% aller Fälle zwischen 2 und 14 Tagen liegt (Linton et al., J. Clin. Med. 2020, 9, 538; doi:10.3390/jcm9020538). Somit sollte theoretisch ein schwacher Effekt nach 4-5 Tagen sichtbar sein, der Haupteffekt aber eben erst nach 7-8 Tagen.

Somit, seien wir geduldig und warten ab. Werfen wir niemanden Aktionismus oder falsche Handlungen vor, warten wir ab und geben wir den Maßnahmen eine Chance, sich in der tatsächlichen Anzahl von Erkrankten niederzuschlagen.