Warnung an alle sich Habilitierenden

Klaus Wälde August 2000

Sie wollen sich habilitieren und einen Lehrstuhl wegen des Ansehens? Sehr gut. Sie wollen sich habilitieren und einen Lehrstuhl wegen des relativ zur Freiheit hohen und sicheren Einkommens? Auch sehr gut. Sie wollen sich habilitieren und einen Lehrstuhl wegen der Forschung (soll es ja geben)? Vergessen Sie's!

Ich sitze seit dem 1. April auf einem Lehrstuhl, zunächst als Vertretung, am 1. August war die Ernennung. Seitdem hatte ich keine Zeit, einen vernünftigen Gedanken für die Forschung zu fassen. Klar, bei Ihnen wird es anders (dachte ich auch), Sie sind effizienter (dachte ich auch), alles nur eine Frage der Organisation, klar. Nichts dergleichen: Wenn Sie glauben, die Universität hätte etwas mit Forschung und Lehre zu tun, vergessen Sie's, Universität ist Lehre und Verwaltung.

Die "Alten" werden nun schmunzeln: Nun, jetzt sieht er es auch, war bei uns auch so, haben wir ihm ja gleich gesagt. Aber so darf das einfach nicht sein! Stellen Sie sich vor, Sie sind am Habilitieren (die Vorstellung sollte Ihnen nicht schwerfallen), so richtig in Fahrt, kräftig am Papiere schreiben, mit dem Veröffentlichen klappt es ganz anständig und von Kollegen, die Sie bisher nur aus der Literatur kannten, werden Sie inzwischen zu Vorträgen eingeladen. Plötzlich kommt dieser Ruf und der ganze Druck fällt von Ihnen - super, nun schön weiterforschen, vielleicht auch mal etwas Ausgefalleneres angehen, nicht so mainstream und veröffentlichungsorientiert, denken Sie vielleicht (einige tun dies wirklich).

Doch dann kommt der Aufbau des Lehrstuhls, das Suchen und Einstellen der MitarbeiterInnen und das Vorbereiten der Vorlesungen. Vielleicht wollen Sie ja nicht das Lehrbuch von vor 10 Jahren mit der Literatur von vor 30 Jahren verwenden und stellen etwas forschungsnah zusammen. Schon sind bei einer neuen Vorlesung pro Semester die ersten ein bis zwei Jahre weg. Nichts geforscht, die ursprünglich aktuellen Forschungsthemen alt, und Sie mit weniger Elan. Tja, so ist das halt, die Uni.

Aber so müsste es ja nicht sein: Warum nicht einen graduellen Übergang schaffen, warum nicht Forschungsförderungsmittel bereitstellen, die es den wirklich Forschungsinteressierten erlauben, bei einer Erstberufung im ersten Jahr nur 2 Semesterwochenstunden zu unterrichten, im zweiten dann vielleicht 4 usw., bis irgendwann das volle Deputat erreicht ist? Oder warum nicht gleich Forschungsprofessuren schaffen, mit einem auf soundsoviel Jahre verringertem Deputat und der Möglichkeit (bei entsprechender Forschungstätigkeit) der Verlängerung?

Der jetzige Zustand ist in meinen Augen unhaltbar. Individuell frustrierend und aus dem Blickwinkel der Forschungsförderung ein Unding: Stellen Sie sich die Hälfte Ihrer momentan laufenden Projekte vor und schmeissen Sie sie in den Müll. Multiplizieren Sie das dann mit der Anzahl der Erstberufungen pro Jahr und überlegen Sie sich, was da an Forschungsergebnissen verloren geht.

Sie wollen forschen? Hoffen Sie nur, Sie bekommen keinen Ruf.

Ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich keinerlei Grund sehe, meine momentane Situation mit meiner Fakultät oder meiner Universität in Verbindung zu bringen. Das beschriebene Problem ist ein strukturelles und kein spezifisches.

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