Der Urlaubscheck – Wohin geht die Reise in Zeiten von Covid-19? – Einschätzung vom 9. Juli

[mit Dr. Constantin Weiser] Die Frage kann auf mindestens zwei Arten verstanden werden. Wie gestaltet sich der weitere Verlauf der Covid-19-Pandemie? Bleibt die Anzahl der Neuinfektionen weiterhin auf einem niedrigen Niveau, so dass man sich fast etwas wie Normalität erhoffen könnte? Oder kann die Frage räumlich verstanden werden? Stellen wir die Frage, wohin die Urlaubsreise gehen kann in den aktuellen Zeiten? Wir machen beides.

Die erste Interpretation allein wäre etwas unspektakulär, fast nicht der Rede wert. Es passiert nichts in Deutschland. Die Anzahl der Neuinfektionen fällt langsam. Es gab ein Tonnies-Unglück, aber danach fielen die Zahlen wieder. Aber sie fielen nicht stark. Wenn wir uns die Abbildung des Robert-Koch Instituts ausleihen dürfen, dann ist dieser Zusammenhang klar.

Schon Anfang Juni lag die Anzahl der Neuinfektionen in Deutschland pro Tag im Schnitt um die 500. Vorher warteten wir darauf, dass die Anzahl endlich unter 500 fällt, danach warteten wir auf die 400, vielleicht die 300. Aber dann gab es das Problem in Schlachthöfen. Nun warten wir wieder auf das Fallen unter die 400, unter die 300 – wir warten. Fast nicht der Rede wert.

Auf der anderen Seite ist ja diese scheinbare Konstanz auch schon informativ. Mit den aktuellen gesundheitspolitischen Maßnahmen scheint sich die Anzahl der Neuinfektionen zu stabilisieren. Es geht nicht vorwärts und nicht rückwärts. Wenn man einen Trend erkennen wollte (den man vermutlich auch statistisch belegen könnte), dann gehen die Anzahl der Neuinfektionen ganz langsam zurück. Aber eben nur langsam. Also kann man gespannt sein auf die Urlaubszeit, auf Reiseaktivitäten, auf den Neubeginn der Schule. Mit vielen neuen Kontakten könnte die Anzahl der Neuinfektionen wieder steigen. Oder mit weiteren Lockerungsmaßnahmen. Keine Masken mehr, wieder Großveranstaltungen, weniger Hygienevorschriften, Wiedereröffnung von Clubs und Bars, es bleibt noch viel zu lockern. Sollten wir aktuell auf einem konstanten Trend sein, dann würde man vermuten, dass weitere Lockerungen den Trend umkehren.

Bevor jedoch die Schulen wiederbeginnen – und das wird ja tatsächlich ein großes soziales und gesundheitliches Experiment – die Statistiker stehen in den Startlöchern, könnten wir uns der zweiten Interpretation der obigen Frage widmen. Wohin kann denn die Urlaubsreise gehen? Nehmen wir an, wir verhalten uns im Urlaub ziemlich ähnlich wie zuhause in Bezug auf soziale Kontakte. Wir gehen von unserer Wohnung in eine Ferienwohnung. Statt zuhause in einem Supermarkt einzukaufen machen wir das am Urlaubsort. Dann sollte die Anzahl der Kontakte (abgesehen von den Reisekontakten) pro Tag relativ unverändert sein. Damit wäre dann also das einzige Kriterium für die Frage eines erhöhten Infektionsrisikos, ob die Reise in eine Region geht, wo die Anzahl der Infizierten pro Einwohner höher ist. Natürlich muss diese Überlegung so nicht gelten – vielleicht fahren wir ja in den Urlaub, um dort ganz viele neue Leute ganz intensiv kennenzulernen, oder wir fahren in den Urlaub, um ganz für uns allein durch die Berge zu wandern oder zu meditieren. Dann ändert sich natürlich das individuelle Infektionsrisiko auch durch das geänderte individuelle Verhalten. Die folgenden Abbildungen sind also nur informativ für eine Urlaubsplanung, wenn wir im Urlaub genauso häufig mit anderen Menschen in Kontakt treten wie zuhause. Wenn dies der Fall ist, dann ist es infektionsbezogen eine gute Idee, in eine Region mit niedrigen Infektionszahlen pro Einwohner zu fahren. Es ist keine gute Idee, in eine Region mit hohen Infektionszahlen pro Einwohner zu fahren.

Bevor wir uns die Abbildungen ansehen, eine Bemerkung zur Herkunft der Daten. Die Daten werden vom  "European Centre for Disease Prevention and Control" (ECDC) veröffentlicht und zum Download bereitgestellt. Die Daten aus Ländern der EU werden durch die nationalen Meldesysteme erhoben, internationale Daten durch die WHO bereitgestellt und durch manuelle Auswertung von 500 Datenquellen ergänzt. Die Aussagekraft der Daten dürfte je nach Land unterschiedlich sein, da die Zahlen, je nach Testverhalten und Erhebungssystem mehr oder weniger stark das tatsächliche Infektionsgeschehen abbilden. Insbesondere die Konzentration des Infektionsgeschehens auf lokale Hotspots wird aus den Daten nicht ersichtlich, was jedoch wichtig wäre für die Beurteilung des tatsächlichen Infektionsrisikos in einer Region. Trotzdem glauben wir, dass folgende Abbildungen informativ sind, zumindest in einem indirekten, aber dennoch hilfreichen Sinn – auf den wir zurückkommen werden. Nun die Abbildungen.

Schauen wir zunächst auf die beliebtesten Urlaubsziele der Deutschen über die vergangenen Jahre.

An erster Stelle der beliebtesten Urlaubsziele steht Deutschland selbst. Der qualitative Verlauf ist bekannt. In Spitzenzeiten im April steckte sich jeder 5. bis 6. von 100.000 Einwohnern pro Tag an (und wurde als Infektion gemeldet, also ohne Berücksichtigung von nicht-gemeldeten und von stummen Infektionen). Danach fielen die Neuinfektionen bis Mitte Juni, Schlachtbetriebe führten zu einem Neuanstieg, jetzt fallen sie wieder (aber eben nicht stark, wie oben beschrieben). Der aktuelle Stand in Deutschland ist mit der roten Linie gekennzeichnet – in der Abbildung für Deutschland wie auch in den anderen Abbildungen. Ein Vergleich der Entwicklungen in Spanien, Italien und Griechenland zeigt: nichts wie ab in den Urlaub. Spanien und Italien hatten viel höhere Infektionszahlen pro 100.000 Einwohnern. Aktuell sind die Zahlen jedoch mit Deutschland vergleichbar. Ja, es gibt Schwierigkeiten, Infektionszahlen international aufgrund unterschiedlicher Messmethoden zu vergleichen, es mag auch Fragen bezüglich der Glaubwürdigkeit von Daten geben, letztere erscheinen jedoch für diese Länder nicht zu gravierend. Nach obigen Daten sollte Griechenland das Urlaubsland Nummer 1 sein. Viel schwieriger schaut es jedoch mit der Türkei, Slowenien und Kroatien aus. Dieser Länder scheinen fast „lehrbuchartig“ den Verlauf einer viel besprochenen „zweiten Welle“ widerzuspiegeln. Bis Mitte Juni erschien auch Österreich eine gute Idee als Urlaubsland. Von einer zweiten Welle zu reden erscheint früh, warten wir ab.

Wenn wir uns nach weiteren Optionen umschauen wollten, hier wären unsere Nachbarländer.

Der Vergleich der roten Linie und der Verlauf in den jeweiligen Ländern sagt klar, wo ein Urlaub ratsam ist.

Wendet man sich ferneren oder kleineren Urlaubszielen zu, findet man erstaunliche internationale Unterschiede in den Infektionszahlen pro 100.000 Einwohnern. Diese Normierung auf die Einwohnerzahl macht Länder vergleichbar, die sich in der absoluten Größe (gemessen in der Einwohnerzahl) stark unterscheiden. In jedem Land gibt es Kleinstädte mit ca. 100.000 Einwohnern. Wenn man sich vorstellt, in einem solchen Land in einer solchen Kleinstadt im Urlaub zu sein, dann ist die Infektionszahl pro 100.000 Einwohnern sehr informativ. Länder mit hohen Neuinfektionen wären zu meiden.

Zwischen einigen dieser Länder und Deutschland finden urlaubs- und berufsbedingte Reisen statt. Wenn Testkapazitäten in Deutschland ausgeweitet werden und Reisen zwischen diesen Ländern bekannt sind, erscheint es aus gesundheitspolitischen Überlegungen sinnvoll, Reisende nach Rückkehr zu testen.

Lassen Sie uns zum Abschluss erneut auf den Aspekt der internationalen Vergleichbarkeit eingehen. Wenn Regeln zum Test auf SARS-CoV-2 zwischen Ländern systematisch abweichen, dann würde man erwarten, dass auch die Neuinfektionszahlen pro Einwohner abweichen. Wenn in einem Land nur auf medizinische Anordnung getestet wird (wie in Deutschland weiterhin weitgehend der Fall, siehe RKI zu etwas Hintergrund zum Meldeverfahren), in anderen Ländern aber (als Beispiel) systematisch die gesamte Bevölkerung getestet würde, dann wären Neuinfektionszahlen in den Ländern mit systematischen Tests höher, da dann auch die asymptomatischen Fälle gemessen werden würden. Länder mit systematischen Tests der gesamten Bevölkerung sind uns nicht bekannt. Deswegen glauben wir, dass große Unterschiede in Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern tatsächlich auch Unterschiede im Infektionsverlauf widerspiegeln.

Bezüglich eines Aspektes sind obige Abbildungen aber auf jeden Fall informativ: Bezüglich des zeitlichen Verlaufs innerhalb eines Landes. Wenn sich zweite Wellen abzeichnen, dann kann dies als Anzeichen gewertet werden, dass Länder unter Umständen zu schnell Lockerungsmaßnahmen durchgeführt haben. In diesen Ländern ist dann sicher größere Vorsicht geboten. Eine Urlaubsreise sollte dann dorthin vielleicht nicht geplant werden.

Wir hoffen ausreichend klar gemacht zu haben, dass auch Zahlen keine absolute Wahrheit bieten. Zahlen müssen auch interpretiert werden. Aber ganz auf Zahlen zu verzichten ist sicher die schlechteste Option. Dann ist Spekulation und subjektiven Einschätzungen Tür und Tor geöffnet. Wohin die Reise geht? Entscheiden Sie selbst. Wir melden uns, wenn wir gesicherte Empfehlungen geben können. Dies dauert leider teilweise sehr lange – bis dahin ist hoffentlich die Pandemie vorbei. Somit wird immer ein Zielkonflikt zwischen Schnelligkeit und Genauigkeit bestehen bleiben.