Die beste aller Zeiten? Einschätzung vom 9. Mai

Kann man am 8. oder 9. Mai etwas schreiben ohne das Kriegsende zu erwähnen? Vor allem jetzt, 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges? Vielleicht leben wir deshalb in den besten aller Zeiten, da der Zweite Weltkrieg zu Ende ging und damit die NS-Diktatur. Zurück zum Thema: Es scheint als liefen wir Zeiten entgegen, die so gut sind wie zuletzt vor 2 Monaten. Im Schnitt wurden über die letzten Tage weniger als 900 Menschen pro Tag neu als infiziert gemeldet, das sind auf die Gesamtbevölkerung gerechnet gerade mal circa 1 von 90.000 Personen pro Tag.

In einem Vortrag am iza stellte ich am letzten Donnerstag unsere Arbeiten der letzten 10-12 Wochen vor. Wie bekannt führten die gesundheitspolitischen Maßnahmen von Mitte bis Ende März zu einem starken Rückgang der Ausbreitung von Covid-19. Die Lockerung der Maßnahmen vom 20. April konnte den Rückgang der Neuinfektionen nicht bremsen. Es gibt jedoch leichte Anzeichen, dass die Anzahl der Neuerkrankungen nicht so schnell gesunken ist wie vor dem 20. April. Für die Bundesländer gibt es seit dem 20. April teilweise erhebliche Abweichungen nach oben und unten. Der Vortrag betonte auch den vermeintlichen Zielkonflikt zwischen Gesundheit und Einkommen. Der Zielkonflikt erscheint jedoch unvollständig, wenn er auf diese einfache Weise formuliert wird. Gesundheit steht nicht nicht nur für Abwesenheit von Covid-19 und reduziertes Einkommen bringt ebenfalls gesundheitliche Konsequenzen mit sich.

Wie schon die letzten Tage bis Wochen wird auch die kommende Zeit geprägt sein von Diskussionen jenseits von Covid-19 im engen Sinn. Covid-19 scheint langsam zu einer gewöhnlichen politischen Angelegenheit zu werden. Niemand glaubt, es sei alles vorbei, aber vielleicht bleiben wir tatsächlich von einer zweiten Welle verschont: Menschen haben gelernt und Verhalten hat sich geändert. Solange jedoch Großveranstaltungen verboten, Schulen und Kindergärten oder auch Schwimmbäder geschlossen bleiben sind wir noch nicht zurück im „normalen Leben“. Erst wenn wieder Kontaktfreiheit herrscht werden wir merken, ob menschliche Vorsicht alleine ausreicht, die zweite Welle zu vermeiden.

Schön wäre es. Es könnte wieder Ruhe einkehren, wichtige(re?) Dinge könnten wieder in den Vordergrund treten. Die globale Erwärmung, Bevölkerungswachstum, ungebändigter Konsum, das sind die Themen, die zurückkehren werden. Kluge Denker führen Belege an, dass auch Covid-19 nur ein Symptom exzessiven menschlichen Handelns sei. Die Frage ist, wieso menschliches Handeln so ist wie es ist – der ungesättigte egozentrierte homo oeconomicus, wieso ist er in vielen Bereichen so erfolgreich im Erklären menschlichen Verhaltens? Das sind die tatsächlichen, tieferliegenden Fragen. Diese könnten wieder in den Vordergrund treten, oder sollten dies endlich einmal tun. Dieser Blog könnte dann auch mit einer viel niedrigeren Frequenz beschrieben werden. Es wäre wünschenswert, wenn Covid-19 nicht mehr alles Denken, Fühlen und Handeln bestimmen würde.